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Benedikt Momme Nissen

von Peter Schmidt-Eppendorf

Benedikt Momme Nissen
Maler und Mönch (t 1943)
Lebensbild eines nordfriesischen Konvertiten
Vortrag vor dem Verein für kath. Kirchengemeindein Hamburg und Schleswig-Holstein

Einleitung
Wir wollen versuchen, uns ein Bild zu machen von einem ungewöhnlichen Menschen, dessen Lebensweg am 26. 4. 1870 im nordfriesischen Deezbüll beginnt und am 23. 6. 1943 in Ilanz (Kanton Graubünden) in der Schweiz endet: Benedikt Momme Nissen. - Den Namen Benedikt erhielt der ursprünglich protestantische Nordfriese Momme Nissen im Jahre 1916 beim Eintritt in den Dominikanerorden.
Wie der Kunstmaler Momme Nissen die Leinwand zunächst grundiert bevor er darauf seine Bilder malt, so wollen auch wir wenigstens kurz den zeitlichen Hintergrund skizzieren, auf dem dieses Leben sich entfaltet und schließlich vollendet hat.

1.1 Schleswig-Holstein, Dänemark und Preußen
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Das prägende politische Ereignis für Schleswig-Holstein ist der Sieg Preußens und Osterreichs über Dänemark im Jahre 1864 in der Schlacht bei Düppel. Bis dahin wurden die Herzogtümer von Kopenhagen aus regiert. (Altona war die zweitgrößte Stadt Dänemarks nach Kopenhagen). Der Traum von einem eigenen Bundesstaat SchleswigHolstein unter dem Augustenburger wird durch Bismarck 1866 zunichte gemacht. Schleswig-Holstein wird eine preußische Provinz. Im Geburtsjahr Momme Nissens, 1870, beginnt der Krieg Preußens gegen Frankreich. 1871 läßt Bismarck König Wilhelm I. von Preußen im Spiegelsaal zu Versailles zum Deutschen Kaiser proklamieren. Der dänischen Herrschaft ledig, bricht in Schleswig-Holstein, ähnlich wie in anderen Deutschen Landen, ein nationales Hochgefühl aus, von dem auch das Geistesleben stark geprägt wird. „Der Sieg der deutschen Waffen, die wachsenden Erfolge deutschen Handels und deutscher Technik, bringen einen selbstzufriedenen und spießbürgerlichen Materialismus mit sich, der mit falscher Romantik verbrämt ist. Die Besinnung auf das Deutschtum, die Bräuche und Sitten der Ahnen, spielen eine bedeutende Rolle.`

1.2 Literatur und Malerei
Das Literarische Leben ist zunächst geprägt von der Spätromantik, es begegnen uns in diesem Zeitraum Eduard Möricke, Friedrich Hebbel, Theodor Storm, Wilhelm Raabe. Große Bedeutung für die aufkommende „Jugendbewegung" erreichen die Schriften von Paul de Lagarde und schließlich auch von Julius Langbehn (geboren in Hadersleben), der einen entscheidenden Einfluß auf Momme Nissen haben sollte.
In der Malerei beginnt der Impressionismus sich auszubreiten. Es seien als Zeitgenossen Momme Nissens genannt: Edouard Manet (1832-1883), Touluse Lautrec (1864-1901), Paul Gauguin (1848-1903) und Vincent van Gogh (1853-1890). In Deutschland beherrscht dagegen noch lange die Biedermeier-Malerei und der Naturalismus das Feld. Wilhelm Leibl (1844-1900), Hans Thoma (1839-1924) und Arnold Böcklin (1827-1901) sind Vorbilder und Freunde des jungen Momme Nissen. - In der Musik begegnen uns die Namen von Richard Wagner, Franz Schubert und Johannes Brahms.

2.1 Kindheit in Nordfriesland
Im Heimatmuseum zu Deezbüll (Niebüll) hängt ein großformatiges Gemälde der Familie Nissen. Onkel Carl Ludwig Jessen, der „Friesenmaler" hat es gefertigt. Am Tisch des Postkontors sitzt in seiner blauen Uniform Vater August Nissen, neben ihm, zwischen Paketen und Briefschaften, seine Frau Margaretha, drei strohblonde Jungen an ihrer Seite: Sönke und Momme und der kleine Andreas. „Ich spielte mit Vorliebe vor den Füßen des Vaters im dunklen Schacht seines großes Arbeitstisches und lief nach Lust zwischen vielen Paketen umher. So wurde ich frühzeitig gewohnt, am Postverkehr der Welt teilzuhaben."2

2.2 Heimat und Familie
Momme Nissen wird am 26. April 1870 geboren. Seine Kindheit ist geprägt durch die christlich liberale Tradition im friesischen Elternhaus und das dörfliche Milieu des wenige hundert Einwohner zählenden friesischen Dorfes. Der gewissenhafte und pflichttreue Vater, die gütige und kunstsinnige Mutter - stets hat sie eine kleine Gabe und ein gutes Wort für die Notleidenden, Armen und Kranken. Zwei Brüder der Mutter sind Kunstmaler: Christian Jessen (Kick-Ohme), bei dem der junge Momme das erste Zeichnen lernt, und Karl Ludwig Jessen (KorlOhme), der durch seinen „Fotorealismus" bekannte Friesenmaler, bei dem er seine erste Ausbildung erhält. Momme besucht zunächst die „Kaiser-Wilhelm-Schule" in der Nähe des Elternhauses, eine private höhere Lehranstalt für Knaben und Mädchen. Mit 14 Jahren schicken ihn die Eltern (Ostern 1884) auf das Realgymnasium nach Flensburg um dort das „Einjährige" zu machen. Des Stadtlebens ungewöhnt, fühlt er sich „eingepfercht". Er nimmt am Konfirmandenunterricht in der St. Marienkirche teil, jedoch, wie er später sagt, ohne jegliche Glaubensüberzeugung.

2.3 Der junge Maler. - Von Deezbüll nach Weimar
Nun faßt er den endgültigen Entschluß Kunstmaler zu werden. Auf die Fürsprache von Hans Peter Feddersen findet er einen Platz an der Weimarer Kunstschule (1886-89). Seine Lehrer sind dort der Impressionist Leopold Graf Kalckreuth, Thedy und der Landschaftsmaler Hagen. Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar ist ein bedeutender Mäzen. Musik, Theater und Malkunst werden gefördert und gepflegt. Der „kleine Nissen" findet bald Zugang zu den verschiedensten Künstlerkreisen. Er entdeckt seine Liebe zur Klassik. In der Malkunst zieht er die „Hellmalerei" vor. - Körperlich abgespannt und seelisch am Ende, kehrt er 1889 in die Heimat zurück. Die schlechte Kost - ihm standen nur 50,- Mark im Monat zur Verfügung - der häufige Kneipenbesuch mit den Kommilitonen, haben ihn ruiniert, die Hände zittern. Besonders hart trifft ihn in dieser Zeit der Tod seines älteren Bruders Sönke, zu dem er von jeher ein besonders inniges Verhältnis hatte („ich hatte einen Schutzengel an meiner Seite" ...). Nissen geht mit der Zeichenmappe aus dem Haus, in Wirklichkeit jedoch nur, um irgendwo im Feld zu schlafen und auszuruhen. Langsam kommt er durch die gute Pflege „bei Muttern" wieder zu Kräften. Als „Momme Postmeisters" stehen ihm alle Türen offen, wo immer er malen will. Es entstehen seine ersten großformatigen Bilder von friesischen Bauernstuben und ihren Bewohnern. (In einer sauberen Bauernstube, Die Sonne scheint ins Zimmer, Am Webstuhl). Auf der internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast 1890 finden die vier Erstlingsbilder des zwanzigjährigen Malers eine gute Aufnahme. Im gleichen Jahr reist er zum Kunstsalon nach Paris. Er schreibt Berichte für „Die Kunst in unserer Zeit", arbeitet für Ferdinand Avenarius' „Kunstwart" und die Berliner „Freie Bühne für das moderne Leben". Durch diese Tätigkeit kommt er in Kontakt mit Männern wie Detlev von Liliencron, Ferdinand Avenarius und Alfred Lichtwark, dem bedeutenden Leiter der Hamburger Kunsthalle.

2.4 Nissens Kunstauffassung
„Als Kunstschriftsteller fordert Nissen, später auch durch Langbehns Einfluß, eine an der Tradition orientierte (Dürer), nationale, volkstümliche, heimatverbundene Kunst, die „Gemütswerte" zu vermitteln hatte. Sie sollte „deutsch" sein, was für ihn gleichbedeutend war mit seelenhaft, charaktervoll, gesund, rein, sittlich. Germanisches und besonders Niederdeutsches stellten für ihn exemplarische Ausprägungen des Deutschen dar. Persönlichkeitskult und Führerideal (Dürer als Führer) im positiven Sinne, spielten eine wichtige Rolle. Den Impressionismus lehnt er als undeutsche und intellektualistische Richtung ab, wenngleich dessen „Lichtgeflimmer" ihm durchaus gefällt. Expressionismus, Kubismus, Futurismus verurteilt er als Verfallserscheinungen, „Irrenhauskunst", „entartete Kunst". Gertrud Fiege (in der SHB) meint: „Zweifellos gehörte Nissens Kunst- und Kulturauffassung zu jenen Strömungen, die mithalfen, der nationalsozialistischen Kulturpolitik den Boden zu bereiten". Diese Formulierung halte ich jedoch in soweit für bedenklich, als sie unterschwellig suggeriert, daß eine aktive Tendenz (Boden bereiten) in Richtung national-sozialistischer Kunstauffassung bei Momme Nissen vorhanden gewesen wäre. „Seine Auffassung von Kunst findet er unter anderem verwirklicht bei Thoma, Leibl und Böcklin, für die er immer wieder eintritt.`
Mit 20 Jahren ist er nun also ein anerkannter Maler. Von München aus verkauft er Bilder nach Paris und Den Haag, beschickt Ausstellungen in Berlin und Hamburg. Auch der Großherzog von Weimar, dessen Gast er 1890 auf der Wartburg ist, erwirbt von ihm Aquarelle. Dem jungen Menschen „schwillt der Kamm". Allen Mahnungen des Vaters zum Trotz verbringt er manche Nächte im Wirtshaus bei Billard und Unterhaltung. Die Zuchtlosigkeit seines Lebens bringt auch eine Abwendung von Gott und den überlieferten religiösen Formen mit sich. Der Erfolg verleitet zum Müßiggang. Es ist ein Segen für ihn - wie er selbst später eingesteht - daß seine Natur dieses nicht mitmacht. Mommäh Nissen sieht schließlich darin einen Fingerzeig Gottes.

3.1 Frucht einer Begegnung: Lebenswende
„Wenn jemand in einen abwärts treibenden Strudel gerät und ihm die Kraft fehlt, sich ihm zu entziehen, - wist ihr, was es heißt, wenn da plötzlich ein Retter herbeispringt, ihn mit starker Hand am Schopf fast und ihn auf festes Land setzt? ... Wenn da ein gereifter Mann herzutritt, der um der Seele willen,
die man im sterblichen Leibe birgt, sich des Lebens dieser Seele annimmt wie ein Vater, Bruder und Freund, und ihr sein in langem Opferleben erworbenes Seelengut kameradschaftlich mitteilt? Es ist wie ein Wunder, es ist ein Geschenk Gottes, für das ich Ewigkeit nicht genug danken kann, daß mir in den verhängnisvollsten Stunden meines jungen Lebens der Mann zukam, der dies an mir getan hat: Julius Lang
behn."4

3.2 Wer war der „Rembrandtdeutsche"?
1890 erscheint ein Buch auf dem deutschen Markt, das wie kaum ein anderes die Gemüter erregt.Ganz Deutschland horcht auf, es kommt zu heftigen Reaktionen, die einen sind voll von Begeisterung, andere ergehen sich in ätzender Kritik. Der Titel ist: „Rembrandt als Erzieher". Der Autor bleibt vorsorglich - ob der Brisanz seiner Thesen - anonym. Er verbirgt sich hinter dem Untertitel „Von einem Deutschen". Auch Momme Nissen erwirbt dieses Buch. Er liest es bei seinem Aufenthalt auf der Wartburg. Nicht alles kann er nachvollziehen, doch von vielem ist er begeistert. Er ahnt nicht, daß dieser „Deutsche" ihm wenig später in der elterlichen Wohnstube in Deezbüll gegenübersitzen wird. - Das Buch „wurde ein ungeheurer Erfolg. Allein 1890 erscheinen 15 Auflagen, 1891 die 39., 1938 die 90."5 Erst allmählich erfährt die Öffentlichkeit den Namen des Verfassers. Es ist ein „Nobody" aus Hadersleben. Er heißt Julius Langbehn, man nennt in später und bis heute den „Rembrandtdeutschen". Inhalt des Buches ist die Erneuerung des gesellschaftlichen Lebens in allen Bereichen. Fehlentwicklungen und Unnatürlichkeit in Lebenshaltung und Bildung werden angeprangert. „In scharfem Antagonismus werden zwei Welten einander gegenüber gestellt: Auf der einen Seite Industrie, Großstadt (Berlin vor allem), Krämergeist, Wissenschaft, Naturalismus, Funktionalismus, Kapitalismus, Demokratie/Sozialismus - auf der anderen Seite Agrarwirtschaft, Land, natürlicher Austausch auf der Grundlage von Bedürfnissen, Kunst, Geist und Intitution, Idealismus, Individualismus, Aristokratismus. Die Dominanz jener über diese zu brechen, ist für Langbehn die Aufgabe der Zeit ... (Dabei wird) Rembrandt als Verkörperung der positiven und arisch-niederdeutschen Welt verstanden, und Erziehung zur „Kunst" erscheint als Mittel zur Heilung von allen gesellschaftlich-politischen Übeln der Epoche."6
In den „Historisch-Politischen Blättern" bescheinigt der damalige Moraltheologe in Tübingen und spätere Bischof von Rottenburg, Paul Wilhelm Keppler, bei aller Kritik, dem Verfasser des Rembrandtbuches einen scharfen Geist und hohen sittlichen Ernst. Er richte den Blick auf den nationalen Gesamtorganismus und suche zum eigentlichen Krankheitsherd vorzudringen. Die Diagnose laute auf Gehirnerkrankung infolge von übertriebenem, rein verstandesmäßigem Studieren ohne Beteiligung von Herz und Gemüt; damit sei jedenfalls ein Hauptsitz und eine Haupterscheinung der Krankheit der deutschen Nation gefunden, aber diese Diagnose sei in einem Punkte mangelhaft: „Sie irrt, wenn sie eine Gehirnerkrankung als primäre Ursache ansetzt; diese ist vielmehr zu suchen in Blutvergiftung, in Pyämie, infolge von Entchristlichung und Entsittlichung. Darum heißt die oberste Kulturmacht nicht Kunst, sondern Religion und Christentum, und der Erlöser auch für das 19. und 20. Jahrhundert heißt nicht Rembrandt, sondern Christus."7

 

3.3 Faszination eines Idols
„Als ich an einem frostigen Januarmorgen (des Jahres 1891)", so erinnert sich später Momme Nissen genau, „in Holzschuhen meinen Frühweg durch den Schnee gemacht hatte und ins Elternhaus heimkehrte, war ich (doch) völlig überrascht, als ich im Sofa unserer Wohnstube bereits am Morgen einen Mann sitzen sah, der kein anderer als der geheimnisvolle Rembrandtdeutsche war ... Im Handumdrehen waren wir in vertrauter Unterhaltung über Inhalt und Zweck seines Buches. ... Alsogleich fühlte ich: Von dem kommt mir Gewinn fürs Leben, hier knüpft sich ein Band für immer.'

Im Winter 1891/92 hält sich Nissen in München auf. In der Gefahr, wiederum unbeherrscht und haltlos zu leben, entschließt er sich „Langbehn rückhaltlos zuzustimmen und fortan jeder Zügellosigkeit zu entsagen. Aus der anfänglichen Freundschaft entwickelt sich ein Schüler-Meister-Verhältnis zum 19 Jahre älteren Julius Langbehn, das bis zum Tod Langbehns im Jahre 1907 anhält. Als Langbehn in persönlichen Schwierigkeiten Hilfe braucht, stellt Nissen sich ihm 1893 als Sekretär und Gehilfe zur Verfügung. Der Rembrandtdeutsche hätte aufgrund der Verbreitung seines Buches ein reicher Mann sein können. Er verzichtete jedoch auf ein angemessenes Honorar und bestand darauf, daß das Buch zu einem Preise von 2,- Mark für Jedermann erschwinglich sein müsse. Sein Doktordiplom (Archäologie) gab er aus Protest gegen die herrschenden bürgerlichen Normen wieder zurück. Anfang 1875 trat er aus der evangelischen Kirche aus, isolierte sich im Laufe der Jahre durch seine rigorose Haltung zunehmend von seinen bisherigen Freunden und Gönnern und geriet deshalb immer wieder auch in finanzielle Schwierigkeiten. -

 

3.4 Freundestreue und Lebensgemeinschaft
1893 siedeln beide nach Wien über. Theater, Musik, Wiener Großzügigkeit und Charme, Bruckner beim 1 lochamt in der Kapelle der Hofburg, Besuch der bedeutenden Galerien, sie leben in einer gemieteten Villa im 13. Bezirk. Ihr Lebensstil ist geprägt durch die Hinwendung zur Naturheilkunde und zu einer gemäßigten vegetarischen Ernährung (virtus est in medio). Die Methoden von Kneipp und Arnold Rickli (Sonnen-, Luft- und Lichtbäder) werden praktiziert. In der Kleidung lehnt Langbehn alles Beengende ab, auch hierin ein Wegbereiter der Jugendbewegung und des Wandervogels. „Er hatte wirklich sein leibliches Dasein so sehr unter die Herrschaft seines Geistes gezwungen, wie ich es kaum bei einem anderen Menschen wiedergefunden habe."`'
Die Wiener Idylle findet ein jähes Ende durch einen unbedachten Vorgang, der Langbehns Leben völlig verindern sollte. Der Frischluft und Lichtfanatiker läßt, ohne Erlaubnis des Vermieters, eine Reihe von Bäumen am 1 lause fällen. Es kommt zum Prozeß, da ein Vergleich abgelehnt wird. Die Schadensersatzsumme beträgt 6030 Gulden. Eine Summe, die Langbehn nicht aufbringen kann. -- Langbehn verläßt Wien und geht wieder auf Reisen. Schwierigkeiten mit dem Verleger Hirschfeld (ungerechtfertigte Rückforderung von Vorschüssen) kommen hinzu. Er scheut polizeiliche Anmeldung. Zeitweilig lassen ihn die Gläubiger steckbrieflich suchen. Jetzt ist Momme Nissen erst recht gefordert. Er will und kann seinen „Meister" nicht im Stich lassen.

3.5 Verstrickung in Schuld
Die beiden Freunde wenden sich wieder Norddeutschland zu. Langbehn findet ein Unterkommen in Lübeck, wegen Geldmangels oft genug vom Hinauswurf seitens seiner Wirtin bedroht. Momme Nissen bemüht sich in Hamburg um Aufträge. „Will man in Hamburg Aufträge bekommen, so muß man im Frack schlafen", hatte ihm einer seiner Freunde gesagt. Er bezieht deshalb ein elegantes Quartier „in vornehmer Lage an der Alster", besucht an den Abenden den Ratskeller, wo sich Dichter und Kunstfreunde zu treffen pflegen.'
Heinrich Merck erinnert sich: „Seine Erscheinung war keineswegs die eines Gesellschaftsmenschen oder eines Künstlers: Sein mildes, von dichten hellen Haaren umrahmtes Gesicht, seine leise Stimme, sein verhaltenes Wesen, der lange schwarze Rock den er meistens trug, gaben seinem Auftreten eher etwas Pastorales oder, wie in Voraussicht seines späteren Lebens, etwas vom geheimen Diener einer unsichtbaren Kathedrale. Und das war immerhin verwunderlich bei einem Manne aus dem schleswigschen Westen, wo es Kathedralen und ihre Dichter nicht gab, einem Land, das eigentlich bis heute etwas Heidnisches behalten hat.""
„Aber das Vertrautwerden mit Hanseaten geht langsam. Ich lernte nachfühlen, was Langbehn vor Jahren über seinen damaligen Aufenthalt in Hamburg ausgesagt hatte, es sei ein grauenhaftes Schicksal, geldlos unter Hamburgs Geldleuten zu leben."12
Oftmals muß Nissen seine Sachen ins Pfandhaus tragen, „in Pension geben", wie er mit Galgenhumor sagt. In der Heimat mag er sich kaum noch sehen lassen, weil er bei vielen Verwandten in der Kreide steht. Eine große Hilfe wird ihm durch den Hamburger Bankier Friedrich Bendixen zuteil, der ihm nicht nur Aufträge verschafft, sondern auch erhebliche Geldsummen zur Verfügung stellt, damit er unabhängig seiner künstlerischen Tätigkeit nachgehen könnte. Insgesamt sind es in den Jahren von 1905 bis 1911 runde 60000 Mark. Was Bendixen nicht ahnt ist, daß Nissen davon seinen Freund Langbehn unterstützt. Nissen bekennt in seiner Autobiographie „Meine Seele in der Welt" freimütig, ohne allerdings konkrete Namen zu nennen: „Nicht alles war recht, was wir taten."" Langbehn hat in seinem Sendungsbewußtsein offenbar nicht die geringsten Skrupel in dieser Hinsicht. Gelegentlich äußert er immerhin den Standpunkt: das geistige Genie habe ein Recht darauf, vom Volke (bzw. von der Regierung) unterhalten zu werden.

3.6 Schreiben für die Kunst
In der Zeit von 1896-1902 sind Langbehn und Nissen auch zunehmend schriftstellerisch tätig. In den Kunstzeitschriften „Der Lotse" und im „Kunstwart" erscheinen Beiträge über die Vaterländische Malerei. 1901 gestaltet Nissen die Schleswigsche Kunstausstellung in Flensburg mit einheimischen Künstlern. Auch bringt er eine Mappe heraus „Nordfriesische Heimatkunst", mit Bildern seines Onkels Karl Ludwig Jessen. 1904 erscheint der Band „Dürer als Führer" und später weitere Beiträge.

 

4.1 Heimweg zur Kirche
Schon in der 37. Auflage seines „Rembrandt als Erzieher" (1891) hat Langbehn einen Abschnitt über den Katholizismus eingefügt, worin er weitgehend für diesen eintrat.
Zunehmend befassen sich Nissen und Langbehn nun mit dem katholischen Glauben. Sie studieren die großen Vertreter der Mystik, Birgitta von Schweden, Heinrich Seuse, vor allem fasziniert sie der „Poverello", Franz von Assisi, welchen Langbehn „den bisher besten Reformator der Kirche" nennt, und schließlich Anna Katharina Emmerick, die westfälische Bauerntochter und Augustinernonne. (Nissen: „Eine heilige Seele, der ich mich blutsverwandt fühlte.") Die Aufzeichnungen Brentanos über ihre Visionen hinterlassen bei ihnen einen tiefen Eindruck. Nissen schreibt eines Tages an Langbehn: „wenn sich alles so verhält, wie unser Beobachten und Studieren und unser Teilnehmen am Gottesdienst es uns vor Augen stellt, dann muß man ja katholisch wer
den!"15

4.2 Konversion Langbehns und Nissens,Rechtfertigung vor den Freunden
So geschieht es denn nach einigem Zögern. Bei den Dominikanern in Rotterdam wird Langbehn im Februar 1900 in die katholische Kirche aufgenommen. Nissen ist zu der Zeit noch in Hamburg beschäftigt. Er vollzieht diesen Schritt anderthalb Jahre später bei den Kapuzinern von Immenstadt im Allgäu.
„Gute Freunde haben versucht, mich in meiner Glaubensentscheidung wankend, sie wohl gar rückgängig zu machen durch die Mahnung: Dann sagst du ab dem Boden deiner Heimat und dem Glauben deiner Väter. Wie kann ein freier Friese nur katholisch werden? Darauf zu antworten ist mir niemals schwergefallen. Bin ich überzeugt, daß meine Vorväter sich geirrt haben, so ist das kein Grund, diesen Irrtum beizubehalten ... - Unwillkürlich empfand ich meine Entscheidung als nicht für mich allein getroffen, sondern als eine Entscheidung für die als segenbringend erkannte Heimkehr der abgetrennten Christenheit zur Mutterkirche, die sich gleichsam zufällig in mir vollzog ... Um mit Langbehn zu reden: Ich bin katholisch geworden als ein kleines Korn aus dem großen Kornsack des Nordens, um auf dem Mutterboden der
Kirche gesät zu werden ..."16
Die Aufnahme Momme Nissens in die Kirche vollzieht sich in aller Stille. Bedingungsweise Taufe, Bußsakrament, Kommunion ... „Denke ich an jene Tage zurück , werde ich überwältigt von Dankbarkeit. Nur dies eine Mal bin ich in das abgeschiedene Immenstadt eingekehrt, aber dieses Städtchen mit seinen braunen Mönchen schenkte mir mehr als alle Städte der Welt."
Am 20. August 1902 empfängt Momme Nissen im Kloster Beuron die hl. Firmung durch Bischof Keppler. Julius Langbehn legt ihm als Pate die Hand auf die Schulter. -
Die Malerin Ingeborg Magnussen beschreibt in ihrem Büchlein „Meine Heimkehr" eine Begegnung mit Momme Nissen: „Eines Morgens in meinem Atelier in Schleswig ordne ich am Klavier meine Noten und durch die Hände gehen mir die vier Hefte der Frau Oberin. Da durchschoß es mich: Der Geber (ein Ire namens Samuel Myerscough, Musikprofessor und Komponist, der später katholischer Priester geworden ist) wollte ja katholisch werden, und ich weiß nichts mehr von ihm." Und dort am Klaviere stehend, mitten im Atelier, faltete ich die Hände und sagte recht von Herzen: Bitte, lieber Gott, laß es ihn nicht geworden sein! ... Und da, wie Blitz und Donnerschlag stand die Antwort vor mir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen ... - Bis zur letzten Silbe mußte ich es anhören, aber diesmal mit einer Autorität, die keine Abweisung zuließ ... Es war zu furchtbar. Wie mit Keulenschlag warfs mich hernieder. Ich saß wohl eine Stunde, ohne mich rühren zu können. Doch der Tag kam mit seinen Forderungen, sie mußten erfüllt werden. Es war der 10. August. Aber der Tag war noch nicht zu Ende ...
In jenem Sommer hielt sich in Schleswig der durch seine Bilder und Kunstaufsätze weitbekannte und geschätzte Maler Momme Nissen einige Wochen malend auf. Er hatte früher gelegentlich in unserem Hause verkehrt, aber jetzt erst hatte ich ihn näher kennengelernt und einen Jünger Christi in ihm gefunden, wie mir noch kaum einer begegnet war. Diesen Abend sollte ich mit ihm zubringen. Es kam ein sehr ernstes Thema zur Sprache, da unterbrach er mich: „Sie dürfen jetzt nicht weitersprechen, bis ich Ihnen etwas mitgeteilt habe" - und mit tiefer Ergriffenheit kam es: „Ich bin katholisch."
Wars möglich? Sollte diese schreckliche Kirche immer die Besten wegnehmen? ... Mit dem Friesen Momme Nissen war zum zweitenmal ein Mann in meine Sphäre getreten, den ich vollwertig einschätzen mußte, obwohl er Katholik war..."
Und später schreibt sie: „Der Tag war gekommen, wo ich wußte: wollte ich ganz evangelisch sein, so mußte ich heim in die katholische Kirche..." Wie mir dieses feststand, war mein Weg klar. Ich suchte und fand einen Lehrer, einen Priester aus dem Predigerorden, der mir das Erkannte befestigte, den vollen Zusammenhang erschloß zu immer neuer Klärung. Freude und Dankbarkeit bis heute. Nach wenigen Wochen legte ich das christkatholische Glaubensbekenntnis in seine Hände ab ..." „Das war an jenem Morgen mein Damaskus gewesen, am Abend kam der Ananias, der mir zum erstenmal die Augen öffnete...""
Momme Nissen mietete sich in Hamburg „vorübergehend neben der Marienkirche ein, um dort täglich im Morgengrauen der Andacht zu obliegen. - Frühmorgens in der Kirche bei Gott, tagsüber bei künstlerischer Fronarbeit, um Bestellern zu genügen, abends auf Diners mit faden Unterhaltungen - wie oft habe ich das in den Hamburger Jahren durchgemacht... "19
Die Hansestadt besitzt übrigens eines seiner beachtlichsten Werke im Hanseatischen Oberlandesgericht. Es stellt den Landgerichtsdirektor Wulff mit den Beisitzern seiner Kammer dar.

4.3 In Rom. - Papstbilder
Bei seinem ad limina Besuch in Rom im Frühjahr 1903 bittet Bischof Keppler den damaligen Papst Leo XIII. für Momme Nissen um die Erlaubnis, diesen porträtieren zu dürfen. Der Papst willigt ein, es wird ein Platz im Audienzsaal ausgesucht, wo er sich mit seinem Malgerät aufstellen kann. Nissen erinnert sich: „Nur wenige Schritte vom Papste entfernt kann ich ihn von der Seite ungestört betrachten und malen. Fast eine Stunde lang. Was zeigt mir ein jeder Blick? Das alabasterne, leicht rosig schimmernde Antlitz eines greisen Mannes, voll erhabener Ruhe und überirdischen Friedens. Über dem zahnlosen Mund und der mächtigen Nase funkeln zwei dunkelbraune Augen. Die leuchten auf wie Edelsteine. Dabei eilen sie in dem ehernen Gesicht so flink hin und her, als wenn Vögel durch die Luft fliegen. Gütig und milde ruhen sie auf den einzelnen Rompilgern, die vor ihren Hohepriester hintreten, kurz niederknien und den Fischerring an seiner rechten Hand küssen ... Das also ist der von der Welt bestaunte fast 94jährige Papst, der ein Vierteljahrhundert lang das Schiff Petri durch alle Zeitenstürme sicher geleitet hat." Noch bei zwei weiteren Audienzen kann Nissen seinen Beobachterplatz einnehmen. Er ist dabei, als eine Reihe von Kardinälen in ihr Amt eingeführt werden, darunter auch der Erzbischof Antonius Fischer von Köln, den er später ebenfalls porträtiert hat. - Wenige Wochen später stirbt Leo XIII. An seine Stelle wählen die Kardinäle den Patriarchen von Venedig, Giuseppe Sarto, der als Pius X. den päpstlichen Stuhl einnimmt.
Bei einem Besuch in Köln fragt Kardinal Fischer Nissen ganz unerwartet: „Wollen Sie auch den jetzigen Papst malen? Ich muß nächstens zu ihm nach Rom und will ihn bitten, Ihnen Sitzungen zu gewähren." So kommt Nissen im Sommer 1910 wiederum in die Ewige Stadt. Der Rektor der Anima vermittelt ihm die Erlaubnis, ein paar Wochen lang allen Empfängen des Papstes beiwohnen zu dürfen, um seine Züge zu studieren und vorbereitende Skizzen zu machen. „Die offenen Augen voller Güte, ein wenig schwermütig. Sind seine Züge in Ruhe, so wirkt er wie ein guter deutscher Großvater. Wird er aber durch irgend etwas bewegt, so spürt man den Südländer: dann schnellen seine Augenbrauen, die sonst dicht über den Pupillen lagern, wohl um zwei Zentimeter empor ..." -„Nun nahten die Tage, für die mir der Papst eigene Sitzungen gewährte. Wie sollte ich ihn auffassen? Bei Leo XIII. zeigte die Seitenansicht deutlich den Kern der Persönlichkeit auf, bei Plus X. offenbarte das gedrungene Profil wohl seine machtvolle Energie, aber den ganzen Menschen lernte man erst kennen, wenn er einem gerade in die Augen sah. Darum bat ich, ihn ganz von vorne malen zu dürfen. Monsignore Lohninger geleitete mich zu der mir angegebenen Morgenstunde in das Arbeitszimmer des Heiligen Vaters. Er saß am Schreibtisch und nahm sein einfaches Frühstück ein: trocken Brot, ein Ei, und, ich meine, ein Glas Wein dazu. Er schaute immer wieder zu mir herüber; er saß dem Maler geduldig und gut Modell, aber eigentlich nicht, als wenn er daran dächte, daß er gemalt werde, sondern seine Augen nahmen mich gleichsam aufs Korn, als wenn sie mich durchdringen wollten. Es fielen fast keine Worte, schon weil ich das Italienische nicht beherrschte. Etwa eine Stunde lang konnte ich emsig schaffen und durfte wiederkommen am nächsten Morgen. Da ich das Bildnis daheim förderte, rückte die Arbeit rüstig voran. Mehrmals sah der Heilige Vater das Bildnis an und äußerte sich befriedigt. Als ich zum Schluß seinen Segen empfing, wollte ich ihm danken. Mit freundlichen Worten wehrte er ab.""'

4.4 Luft zum Atmen. - Bayern und Norddeutschland
Die Übersiedlung nach München im Herbst 1902 empfindet Nissen als eine große seelische Befreiung „da flog der Frack in die Ecke. Außen- und Innenleben kamen wie von selbst in Einklang durch Einfachheit
des Lebens ...".21 Bayern wird ihm zur zweiten Heimat. Er hätte, wie
viele seiner Freunde, nach Nordfriesland zurückkehren können. Es war ihm nicht christgläubig genug um dort für immer zu wohnen: „ganz abgesehen von der Schwierigkeit, dort als gläubiger Katholik zu leben. „Als Neuchrist aber suchte und brauchte ich Christentum aus dem Vollen. Das fand ich in Bayern ... In Wien hatte ich die erste Fühlung mit der katholischen Lebenswelt erlangt, in Niederdeutschland habe ich durch Lesungen und stille Teilnahme am katholischen Gottesdienst das Verständnis für die tieferen Zusammenhänge gewonnen und dort meine Entscheidung gefällt, - in Bayern bin ich durch und durch katholischer Christ geworden ... "22

5.1 Langbehns Tod. - Schmerz und Befreiung
Im Frühjahr 1907 beschließen die beiden Freunde aus München heraus nach Rosenheim zu fahren. Langbehn kränkelt seit einiger Zeit, sie wollen dort „das nach Kneippscher Art geführte Kaiserbad` in Anspruch nehmen." Schon am Tag ihrer Ankunft muß Langbehn sich legen. Er hatte im Sommer zuvor in Altötting eine „Sterbekerze" erstanden, die er seither stets in seinem Koffer mit sich trug. Am zehnten Tag seines Krankenlagers muß Momme Nissen diese anzünden. Die letzten Worte Langbehns sind eine Ermahnung an seinen Gefährten und Schüler. „Beten Sie doch oft um die Gabe der Beharrlichkeit. Wenn man nicht ausharrt bis ans Ende, dann ist alles umsonst." Mit einem sehnsuchtsvollen Blick auf das
Kreuz haucht er sein Leben aus." Es ist der 30. April 1907. Der Rembrandtdeutsche stirbt in Armut: „all das Seinige hatte er bereits vor längerer Zeit zum Ausgleich in meine Hände gelegt. In seiner Börse lag ein Pfennig. Ich ließ seine Leiche in eines der großen Leinentücher hüllen, die er immer mit sich führte, sie einkleiden, einsegnen und noch am gleichen Tage in die Rosenheimer Leichenhalle überführen. In Tränen gebadet, ging ich als einziger dem dahineilenden Totenwagen nach - wie der Pudel, der allein den Gebeinen Mozarts zum
Friedhof folgte."24
„Wenn ich sterbe sagen Sie niemandem etwas von meinem Tode", so hat Langbehn verfügt. Momme Nissen hält sich daran, so gut es geht. Die letzte irdische Ruhestätte findet Langbehn an einem idyllischen Platz, von dem er einmal gesagt hat: hier möchte ich einmal begraben sein: auf dem Friedhof von Puch bei Fürstenfeldbruck, unter der tausendjährigen Linde der seligen Edigna. Auf das schmiedeeiserne Grabkreuz läßt er die Initialen setzen A.J.L., dazu Geburts- und Sterbejahr. Später, nachdem durch einen Artikel im „Hochland" die Grabstätte bekannt geworden ist, läßt Bischoß Keppler eine Marmortafel anbringen mit dem vollen Namen und der Inschrift: „Auch er war die Stimme eines Rufenden in der Wüste."25
Nissen ist durch den Tod des Freundes tief erschüttert. Er meint bald selbst sterben zu müssen. Zugleich aber atmet er, wie von einer schweren Last befreit, auf. „Ich stand an der Grenze meiner Tragfähigkeit im Eingehen von geldlichen und Gewissensverpflichtungen um Langbehns Lebensaufgabe willen." Durch eigene Arbeiten und durch den Verkauf von Bildern aus dem Besitz Langbehns (von Leibl und Thoma) kann er die angehäuften Schulden begleichen. Schwerer drücken ihn die seelischen Verpflichtungen gegen Blutsverwandte und Wohltäter. „Hier empfand ich Mitschuld an dem Drängen Langbehns, ihn für seine Geistesarbeit bis zum letzten zu stützen."

5.2 Heimat in München. - Ein Mutterherz
Nissen nimmt 1908 seine alte Mutter zu sich nach München, auch sein Bruder Andreas kommt zeitweilig dorthin um bei der Ordnung der Bücherei und des Nachlasses von Langbehn zu helfen. Gelegentlich zieht es ihn nun auch wieder in die Heimat. Für eine Schule auf Alsen (damals noch deutsch) malt er ein großes Wandbild.27 Studienreisen führen ihn von der schleswigschen Heimat bis hin nach Rom. Der Plan einer Langbehnbiographie entsteht. Nissen ahnt noch nicht, daß er sie einmal in einer Klosterzelle vollenden wird. Um 1914 hat er, nach vielen Reisen und Quellenstudien, beisammen, was er an Auskünften und Dokumenten in Bezug auf den Rembrandtdeutschen erlangen konnte. Seine Absicht ist es, „wahr und menschlich über Langbehn zu berichten.
1914 siedelt Momme Nissen mit seiner Mutter nach Altötting über, „wo die Herzen der bayrischen Könige beigesetzt sind". Sie war inzwischen zum katholischen Glauben konvertiert. Bei Ausbruch des 1. Weltkrieges ist Nissen 44 Jahre alt, zunächst zu alt, um eingezogen zu werden. Es erscheint seine Schrift: „Der Krieg und die deutsche Kunst." Ein Plädoyer gegen den französischen Einfluß in der Malerei.Es folgen Schriften wie: „Künstler, wacht auf!", „Zur Neuordnung unseres Kunstwesens."

6.1 Im Kloster. - Arbeit am Nachlaß Langbehns
Im Marienheiligtum zu Altötting verspürt er den Ruf zum Eintritt in den Dominkaner-Orden. Zur Vorbereitung darauf begibt er sich zunächst nach Vechta. 1916 empfängt er das Gewand der Dominikaner. Ehe er sich den Ordensstudien widmen kann, wird er 1917 noch für eine kurze Zeit zum Heeresdienst einberufen. Auf Wunsch seiner Oberen empfängt er 1922 die Priesterweihe (im Kölner Dom). Die ersten Jahre im Kloster hat er „völlig freie Hand", den geistigen Nachlaß Langbehns zu sichten. 1922 erscheint eine autorisierte Neuauflage des Rembrandt als Erzieher. (56.-60. Aufl., insgesamt erlebte es 101 Auflagen) mit einer 44seitigen Einleitung Nissens über Verfasser und Werk. - Eine nicht autorisierte „Illustrierte Volksausgabe" erscheint noch 1943 im Duncker-Verlag, Weimar (Hrsg.: H. Kellermann).
1926 kommt seine Langbehn-Biographie „Der Rembrandtdeutsche" bei Herder heraus. Noch heute ebenso lesenswert wie das Geleitwort von Bischof Keppler, der dieses „Lebensbuch" warmherzig allen Katholiken empfiehlt.
Nissen spürt wohl, daß das Rembrandtbuch mit seiner Fülle an Stoff von der Hygiene bis zur Volksgesundheit, von der Kunst bis zur Politik, - zunächst ohne jeden Zwischentitel geschrieben - nicht nur der Gliederung bedarf, sondern auch der Straffung und Zusammenfassung. Aus dieser Einsicht entsteht das Buch „Der Geist des Ganzen". Es erscheint im Jahre 1930 und faßt die wesentlichen Gedanken des Rembrandtdeutschen zusammen.

6.2 Leben im Orden
1930 wird Pater Benedikt Novizenmeister in Warburg. Hier bekommt er 1933 ernste Schwierigkeiten durch ein nationalsozialistisches literarisches Machwerk. Verfasser ist ein gewisser Dr. Erich Gottschling. Der bezeichnende reißerische Titel des Buches ist: „Zwei Jahre hinter Klostermauern". Der ehemalige Frater Borromäus Maria Gottschling will dem Leser die Augen öffnen für die „Abnormitäten", die in den Klöstern des Dominikanerordens und anderen Klöstern in Brauch sind. „Sie sind derartig, daß der gesund denkende Mensch allein schon dieser Dinge wegen dem Kloster entflieht. Unter schweren seelischen Opfern habe ich zwei Jahre ausgehalten, um es dann der Öffentlichkeit zur Warnung unterbreiten zu können."28
Ein eigenes Kapitel ist dem Novizenmeister gewidmet, der als „hagerer Asket mit undurchdringlichem Gesicht" geschildert wird, „der, wenn er vor uns sprach, die Heiligkeit selbst zu sein schien, der immer so vorbildlich mit überzogener Kapuze
durch den Gang ging ... "29
Gottschlings Charakterisierung des Dominikanerordens liest sich folgendermaßen: „Der Dominikanerorden zehrt noch von den Lorbeeren, die ihm Al
bertus Magnus und Thomas von Aquino eingebracht haben. Er sucht mit verschiedenen Mitteln diesen Nimbus aufrecht zuerhalten. In Wirklichkeit ist sein geistiges Niveau heute weit unter dem der Jesuiten und steht mit dem der Franziskaner auf gleicher Stufe.""

7.1 Drittes Reich und Exil. - Die Jahre in der Schweiz
Die Ordensleitung hält es für geboten, dem „hageren Asketen mit dem undurchdringlichen Gesicht" eine andere Tätigkeit anzuvertrauen. Pater Benedikt wechselt in die Reichshauptstadt Berlin. Er wird 1934 Spiritual am Dominikusstift in Berlin-Hermsdorf. Nach einem kurzen Aufenhalt in dem neugegründeten Kloster Freiburg/Brsg. tritt er 1935 die Stelle des Spirtuals im Institut St. Joseph in Ilanz, Kanton Graubünden, in der Schweiz an. Im gleichen Jahr erscheint bei Herder sein Buch „Kultur der Seele" über Priester, Denker und Künstler in Kirche und Volk.
Ilanz ist die letzte Station seines Lebens. Hier hat er Zeit und Muße seine eigene Lebensgeschichte niederzuschreiben. 1940 erscheint bei Herder das Bekenntnisbuch vom Maler und Predigerbruder Benedikt Momme Nissen: „Meine Seele in der Welt", Der zweite Teil. „Meine Seele im Reiche Gottes" ist weitgehend im Manuskript fertig als der Tod ihm die Feder aus der Hand nimmt. Einer seiner letzten Freunde und Verehrer, der Hamburger Antonio Gayen, gibt es 1975 als Typoskript heraus. Nissens letztes Werk erscheint 1943 bei Benziger in Einsiedeln. Es hat den Titel: „Die eine Kirche."
Während der Exerzitien 1936 notiert er in einem Manuskript „Zeige was du glaubst" folgende Gedanken: „Gib Gnade, o Gott, den Seelen der Hitler, Goebbels, Rosenberg und allen denen, die uns grundsätzlich befeinden! Es sind Menschen, die wie wir zwischen Dir und Satan stehen. Sie sind verblendet, vielleicht besessen; ob sie innerlich ganz schlecht sind, das weißt nur Du, oh Gott ... Sind ein Stalin, Calles", Rosenberg und wer immer uns haßt, nicht doch unsere menschlichen Brüder, für die Christus grad so gut gestorben ist wie' für uns? ... Ist nicht das äußere Wohlergehen der deutschen Katholiken in vielen Jahren der glänzende äußere Fortschritt auch in politischen Errungenschaften und die davon unzertrennliche Materialisierung und Veräußerlichung des katholischen Geistes, die Verfettung und Stumpfheit vieler Priester der Untergrund und das Vorspiel für das, was heute über uns hereinbricht? ... „Warum nicht anerkennen, daß ein Hitler auch Übelstände abgestellt hat, daß ein Goebbels Millionen von Armen geholfen hat ... und so manches mehr. Das gibt uns denn um so mehr das Recht, ihre verderblichen Grundsätze abzulehnen und eisern zu bekämpfen." ... Die Führer des Dritten Reiches sind, wie selbst der Satan es ist, Diener der Vorsehung Gottes. Durch sie schafft er Deutschland um, wie ein Pflüger den Acker umbricht, daß der Boden dampft. Lassen wir Gott machen! Er weiß was er tut. Bleiben wir geduldig und erregen wir uns nicht über die Bischöfe, weil sie nicht dreinschlagen. Auch sie wissen, warum sie noch zuwarten."
Am 8. März 1936 notiert er: „Zwei apostolische Hauptgedanken lassen mir als heimgekehrten Christen und Priester nimmer Ruhe: 1. Die Bekehrung des heute vom Christentum halb oder ganz abgefallenen Nordens und Nordwestens der Welt (Norddeutschland mit Berlin, den Industriebezirken und Hafenstädten, Skandinavien, Großbritannien, Nordamerika, alle ozeanischen Kolonialländereien. Das ist das Land unserer germanischen Brüder und Schwestern, die uns katholische Deutsche einst von Irland und England aus mit heißem Aposteleifer das Christentum gebracht haben: nun hat Gott diese Länder größtenteils in seelischen Nebel und in die Finsternis des Materialismus wie der Unsittlichkeit zurückfallen lassen ... 2. Die Durchheiligung der gottgeweihten katholischen Menschen sowie die Ausrottung der Giftpflanzen im geistlichen Stand. Der Teufel in der Kirche ist gefährlicher, verderbenbringender als irgendwo anders."32
Man beachte, dieses schreibt er 1936! Noch war nicht die Reichsprogromnacht über Deutschland hereingebrochen, noch gab es nicht den entsetzlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Holocaust.

7.2 Der Tod in Ilanz
Das Ende des unseligen Krieges und den Neubeginn in Deutschland erlebt Nissen nicht mehr.
Am Abend des 23. 6. 1943 - in der Kirche wird gerade die Komplet und das Salve Regina gesungen - stirbt Pater Benedikt nach kurzem Krankenlager. Zweimal hören die Brüder ihn halblaut das Verslein sprechen:
„Ein Häuflein Elend nur bin ich, In meiner Armut, meiner Not.
Jetzt komm, Herr Jesus, blick auf mich, Hilf mir zu einem guten Tod."
Dann stimmen sie die Allerheiligenlitanei an und beten die Sterbegebete.
Die Schriftstellerin Emmy Ball-Hennings, bei deren Konversion Momme Nissen Pate gestanden hatte, schreibt damals an Hermann Hesse: „Ich würde gern von ihm erzählen, und wie ich, siebzehnjährig, seine Bilder im Landesmuseum meiner Heimat zum erstenmal sah, seine Bilder aus Friesland, aber ich kann es nicht. Noch habe ich es nicht erfaßt, daß er fortgegangen ist, und wir wollten doch nach dem Kriege miteinander nach Deezbüll und Flensburg fahren und sehen, wie es daheim ist.""

8.1 Schicksal des Nachlasses
Nach dem Tode P. Benedikt Momme Nissens wurde sein gesamter Nachlaß (und der Julius Langbehns) von Ilanz aus dem Provinzialat der Dominikaner in Köln übergeben, später war er deponiert in Walberberg bis 1974. Am 13. 2. 1974 übernahm die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg das umfangreiche Material von der Albertus Magnus Akademie in Walberberg.
Das im Nachlaß befindliche druckfertige Manuskript von „Meine Seele im Reiche Gottes", wurde von Antonio Gayen, Hamburg, 1975 im Selbstverlag herausgegeben. Ebenfalls aus dem Nachlaß veröffentlicht wurde der Briefwechsel mit Friedrich und Grete Bendixen.34 Noch viele ungehobene „Schätze" bergen die vierzehn großen Kartons, wie man aus dem Verzeichnis Gayens ersehen kann.

8.2 Würdigung
Fragt man heute junge Menschen nach Momme Nissen oder Julius Langbehn, so ist oft nicht einmal deren Name mehr bekannt. Von Langbehn liest man gelegentlich noch den einen oder anderen markigen Aphorismus auf Kalenderblättern. Dennoch scheint in jüngster Zeit das Interesse an der Geistesgeschichte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in Deutschland wieder zu wachsen. Vieles von den Ideen und Vorstellungen Langbehns ist inzwischen Wirklichkeit, vieles war Traum und Utopie und ist auch (manches Gott sei Dank!) Traum und Utopie geblieben. Es ist im Wesentlichen das Verdienst Momme Nissens, das Andenken eines ungewöhnlichen Wahrheitssuchers bewahrt und gefördert zu haben, insbesondere durch seine Lebensbeschreibung „Der Rembrandtdeutsche". - Börries Frh. v. Münchhausen urteilt darüber: „Dieses Werk des Mönchs Benediktus Momme Nissen ist ein ganz und gar ungewöhnliches Stück deutscher Geistesgeschichte, dem wir kein zweites über eine so seltsame und gewaltige Erscheinung an die Seite zu stellen haben."" -
Darüber hinaus sind auch seine beiden Bekenntnisbücher, insbesondere „Mein Leben im Reiche Gottes" für den Christen von heute von bleibendem Wert.
Als Maler hat er nur „ein schmales, aber qualitätvolles Werk hinterlassen"36, da er faktisch seit 1916 nicht mehr gemalt hat. Neben Landschaften sind es „lichtvolle Interieurs, die zugleich, da sie häufig friesische Räume wiedergeben, kulturhistorisch interessant sind."" Er verband dabei französische Freilichtmalerei und Rembrandtsches HellDunkel zu einer „wahrhaft deutschen Lichtmalerei". „Größten Wert legte er darauf, daß die Personen auch tatsächlich in den dargestellten Räumen lebten. Nur mit dieser Wirklichkeitstreue und Volksnähe glaubte er, seelenbelebend auf das gefährdete Bürgertum einwirken zu können."38 Als sein Hauptwerk gilt das Bild „Die Sonne scheint ins Zimmer", mit dem er vor allem in Hamburg ungeahnten Erfolg hatte. Kein geringerer als Aby Warburg, jener bedeutende deutsche Kunsthistoriker, dessen großbürgerlich-konservatives Bewußtsein von einer ähnlichen Ablehnung gegen die neue Zeit geprägt war, erkannte Nissens Anliegen. Einem Freunde gegenüber bekannte er: „Dieses Bild bedeutet ein Programm."39
Auf der nordfriesischen Insel Pellworn trägt das katholische Gemeindezentrum den Namen „Momme-Nissen-Haus".
Abkürzungen
RD = Nissen, Der Rembrandtdeutsche MSRG = Nissen, Meine Seele im Reiche Gottes
MSW = Nissen, Meine Seele in der Welt
Anmerkungen
1 Forster, Sp. 1943
2 MSW, S. 8
3 Fiege, S. 201 4 MSW, S. 105
5 Ketelsen/Molzow, S. 201f. 6 dies. S. 202
7 RD, S. 120f. 8 MSW S. 116 9 MSW, S. 145 10 MSW, S. 184 11 Merck, S. 51 12 MSW, S. 184 13 MSW, S. 188
vgl. hierzu: Friedrich Bendixen, Briefe an Momme Nissen 1904-1916, Gesellschaft
der Bücherfreunde zu Hamburg (Hrsg.), Hamburg 1969 und Teil 2: Momme Nis
sen, Briefe an Friedrich Bendixen, Hamburg 1973
14 MSRG, S. 96
15 MSRG, S. 127
16 MSRG, S. 148f. 17 MSRG, S. 154
18 Magnussen, S. 46 19 MSRG, S. 110 20 MSRG, S. 1 soff. 21 MSRG, S. 12 22 MSRG, S. 178f. 23 RD, S. 344 24 RD, S. 345 25 RD, S. 345f. 26 MSW, S. 225 27 MSW, S. 226
28 Gottschling, S. 8f. 29 ders., S. 48ff. 30 ders., S. 16f.
31 P. E. Calles, antikatholischer Diktator in Mexiko 1924-1928
32 Mskr. im Nachlaß Momme Nissen, Staats- u. Univers. Bibl. Hbg.
33 Schlee, S. 130-148
34 siehe Literaturverzeichnis
35 Westf. Volksblatt, Paderborn (18. ?) Okt. 1930
36 Nordfriesische Künstler, S. 31 37 ebenda, S. 31
38 Schulte-Wülwer, S. 32 39 ders., S. 32

Quellen und Literatur
Fiege, Gertrud, Momme Nissen, in: Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon, Bd. 3, Neumünster 1974
Forster, Leonard W., Sp. 1943-1945 in Randa, Handbuch der Weltgeschichte, Bd. 3, Freiburg 1954
Gottschling, Erich, Zwei Jahre hinter Klostermauern, 2. Aufl., Leipzig 1935
Ketelsen, Uwe K./Molzow, Hartwig, „Langbehn", in: Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon, Bd. 8, Neumünster 1987
Lengsfeld, Klaus, (Hrsg.), Nordfriesische Künstler in Italien, Schriften des Nissenhauses, Nr. 29, Husum 1989
Magnussen, Ingeborg, Meine Heimkehr, 6. Aufl., M. Gladbach 1933.
Merck, Heinrich, Begegnungen und Begebnisse, „Momme Nissen", Gesellschaft der Bücherfreunde, Hamburg 1958
Nissen, P. Benedikt Momme, Meine Seele in der Welt, Freiburg/Brsg. 1940
derselbe, Meine Seele im Reiche Gottes, Typoskript hrsg. im Selbstverlag von Antonio Gayen, Hamburg 1975
derselbe, Der Rembrandtdeutsche (28.-33. Tausend) Freiburg/Brsg. 1929
Nissen, Benedikt Momme, Zeige was du glaubst, Mskr., Ilanz 1936, St.Un.Bibl.Hamburg
Schlee, Ernst, (Hrsg.), Die Heimat der Emmy Ball-Hennings, in: Kunst in SchleswigHolstein 1958, Flensburg 1958
Schulte-Wülwer, Ulrich, Schleswig-Holstein in der Malerei des 19. Jahrhunderts, Heide 1980
Westfälisches Volksblatt, Paderborn, 18. (?) Okt. 1930

Ausführliches Verzeichnis der bildnerischen wie der schriftstellerischen Werke Nissens und der Literatur über ihn (bis 1974) bei Gertrud Fiege, SHBL, Bd. 3.
Emmy Ball-Hennings an P. Suso Geiselhart
Kondolenzbrief zum Tode von P. Benedikt Momme Nissen
Magliaso, d. 16. Juli 43
Hochwürdiger Herr Pater,
es drängt mich, Ihnen für Ihre kostbare Gabe gleich zu danken. Wie sehr mich Ihre lieben Worte über Pater Benedikt bewegen, dies kann ich nicht leicht sagen. Der Selige war ja ein Landsmann von mir, wuchs eine kleine halbe Bahnstunde von meiner Heimatstadt Flensburg auf, und wir lernten einander im Jahr 1912 zu München kennen und zwar beim schönen Anlass meiner Firmung (ich bin Konvertitin). Er war der erste Mensch der für mich gebetet hat, und es mag seltsam klingen, aber durch das Gebet des frommen Mannes wurde mir meine Seele erst recht bewusst. Das Erlebnis, das mich mit Pater Benedikt verbindet, gehört zum Kostbarsten, das ich kenne und es ist insofern entschieden das Schönste, weil es einzig und allein nur das Ewige, das Geistige, das Göttliche selbst berührt. Im Einzelnen darüber zu sagen, dazu steht mir das Ereignis seines Heimganges noch zu nah. Ich kann es noch nicht fassen. Er war ja bei mir, kurz vor Pfingsten, und da ich ihn zur Bahn begleitete sprach er zunächst vom Kurs, den er ja im Bethanienhause zu halten hatte, bat mich, doch wieder zu kommen und es tut mir so leid, dass es mir nicht möglich war. Dann kam er auf seine letzte Arbeit zu sprechen, die er sehnlichst zu beenden wünschte. Das war kurz vor Caslano. Wir sahen dort vor einer Wegkapelle eine Zypresse, an die sich ein Fliederbaum schmiegt, also ein Baum, der in unserer Heimat sehr bekannt ist wie verbunden mit der südlichen Zypresse. Das gefiel uns. Und dann traten wir zum Kapellchen, das verschlossen war und beteten vor dem Gitter, für einander, für den Frieden, ach für vieles. Dies war der Abschied. Dann brachte ich ihn zum nahen Bähnlein, und noch durchs Fenster machte er das heilige, geliebte Zeichen des Segens, das ich mir, lieber Herr Pater Suso, im Augenblick von Ihnen erbitte, indem ich Ihnen zugleich für alles herzlich danke. Beim Herzjesubild, das ich durch Sie empfangen habe, will ich auch Ihrer gedenken, so gut ichs nur kann.
Ihre Emmy Ball-Hennings

Wahrlich, ich kenne keinen zweiten Priester, der sorglicher um meine Seele bemüht war, als Pater Benedikt. Seine unsagbar treue Liebe zu Gott, die keine Mühe scheute, das war es, was ich immer so stark an ihm spürte und was mich auch stetig bewegte, ihm in allem zu folgen, und ich glaube wohl, dass es allen so ergangen ist wie mir. Von seiner Unermüdlichkeit für unsere heilige Kirche, für Gott selbst zu werben, und zwar erfolgreich - darüber weiss ich vieles - und ich hoffe bald, davon sagen zu dürfen, denn dies ist die Kindespflicht dem guten Manne gegenüber, der wahrlich mein geistiger Vater war.
Am Tage meiner Firmung, am 14. Juli 1912, schenkte er mir ein Bild von Rogier van der Weyden, eine Reproduktion der schmerzhaften, betenden Gottesmutter. Viel bin ich in der Welt herumgekommen, bin viel gereist und immer hat mich dies Bild begleitet, und er freute sich so sehr, als er das Bild an meiner Wand bemerkte, das er mir vor so vielen Jahren einmal geschenkt hatte. Er hatte dieses Bild schon vor meiner Konversion sehr geliebt, wie er mir sagte, und da er jetzt mein kleines Haus hier segnete, hing das Weihwasserbecken unter diesem Bilde. Das Antlitz ist wohl durchaus menschlich erfasst, wie ein tiefes Begreifen der menschlichen Natur und der letzten seelischen Bedürfnisse, des Verlangens nach der reinsten Liebe und zugleich hat es doch die Unnahbarkeit des Geheimnisvollen. Er, es lange betrachtend sagte: „Es ist wie die leidende und betende Kirche." Das war schön. Und ich wusste ja, dass der Anblick dieses Bildes, das er schon ein wenig wie vergessen hatte, in eine sehr frühe Zeit zurückführte, da er die ersten Regungen zu Gott verspürte.
Verzeihen Sie mir, wenn dies aus mir herausbricht. Es kommt von einem Schmerz, den ich noch nicht einmal begriffen habe. Ein andermal an anderer Stelle werde ich mich gefasster zu Ihrem Mitbruder bekennen. Immer will ich für ihn beten, der zuerst für mich gebetet hat, doch glaube ich, - ich kann nicht anders - dass er längst, schon im Augenblick, da die Seele dem Leibe entfloh, am Herzen der ewigen Liebe ruht und für uns bittet.
Wollen Sie gütigst entschuldigen, dass ich soviel schreibe, da es ja noch vielmehr ist, was ich verschweige. Ich kann mich noch nicht darein finden, dass Peter Benedikt gegangen ist. Aber er ist ja noch da, hat nur eine andere Art angenommen, bei uns, um uns zu sein, doch muss man sich wohl zunächst daran gewöhnen, seinen lieben, persönlichen Anblick zu entbehren. Er hat hier in der Gegend übrigens stark auch auf Andersgläubige eingewirkt, die mich schon um ein Bild von ihm baten. Wäre es nicht unbescheiden, hätte ich so sehr gern noch ein paar kleine Gedächtnisbildchen von ihm, ich will sie gern vergüten, wenn ich darf.
Sobald ich nur kann, will ich auch an passender Stelle über ihn berichten. Ich kenne ihn ja aus einer sehr frühen Zeit, und seine Wandlung, sein Weg zu Gott ist so einzig-schön, und ich muss viel daran denken. Ich habe auch seine liebe Mutter gekannt, die noch in hohen Jahren zur hl. Kirche zurückfand. Schön ist es, dass er noch seine Arbeit „Die eine Kirche" besorgen konnte. Und sollten wir mit seinem letzten Bekenntnisbuch warten bis wir den Frieden wieder haben werden, so wird doch dieses sicherlich sehr zur rechten Zeit kommen. Mit der Bitte um Ihren priesterlichen Segen grüsst Sie herzlich
Ihre Emmy Ball
Das Original befindet sich im Nachlaß Momme Nissen in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg.
Ich danke Herrn Peter Sieve, Vechta, für die freundliche Mitteilung.
Emmy Ball-Hennings, deutsche Schriftstellerin u. Dichterin, geb. 1885 in Flensburg, gest. 1948 in Lugano
Pater Suso Geiselhart war während des Krieges Hausgeistlicher bei den Dominikanerinnen in Ilanz (t 1964 in Chur).

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